in Dortmund als Karl-Heinz Schulte geboren, die Eltern betreiben eine Bäckerei und der "Stammhalter" wird freudig begrüßt, soll er doch die handwerkliche Tradition der Familie weiterführen. Aufgewachsen bin ich im Dortmunder Westend, in der Adlerstraße! Über dieses Viertel gibt es sogar einen Song: "Alles was ich liebe und hasse heißt Adlerstraße" - Peter Freiberg (Cochise, Conditors) hat das Viertel besungen und ihm musikalisch ein Denkmal gesetzt: "keine feine Adresse, zuviel Gestank und große Fresse - für nette Leute nicht zu empfehl´n, Endstation für verlor´ne Seel´n" - so Freiberg. Er hat ein paar Häuser weiter gewohnt und aus dem Fenster den Blick auf dieselbe Fabrik (Miebach) gehabt. Gegen Peter habe ich mal einen Disk-Jokey-Wettbewerb verloren (das hieß damals von Platten-Jokey - und wurde auch genau SO ausgesprochen!), keine Schande, letztlich hat er später eine Karriere als Drehbuchautor, Radiomoderator, Sänger, Kabarettist und Schauspieler hingelegt, den Deutschen Fernsehpreis gewonnen - da bin ich ja eben nur ein kleines Licht.
...nach Volks- und Realschule tatsächlich Eintritt als "Stift" in den elterlichen Bäckerei-Betrieb, ich hatte echt keinen Bock mehr auf Schule. Alternative wäre das Aufbau-Gymnasium gewesen - nochmal mindestens drei Jahre die Schulbank drücken - nein danke!
Gesellenprüfung des Deutschen Bäckerhandwerks (mit Auszeichnung!), bis 1973 Tätigkeit in einer Dortmunder Großbäckerei, dort als Ofenführer spezialisiert auf saures Paderborner Landbrot bei Reinecke Fuchs in Dortmund-Eving an der Bergstraße - langweilige Maloche, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute die gleiche Arbeit. Ich war immer froh, wenn der LKW-Fahrer krank wurde und ich nachts die Rheinländer mit Kaisers Toast beliefern durfte. Abends ging es mit Lastzug und 3-Achs-Hänger los in Richtung Köln, gegen Mittag war ich wieder zurück in Dortmund. Und noch ein wichtiges Ereignis: Ich darf das erste Mal wählen - und gebe meine Stimme - Frucht des konservativen Elternhauses - der CDU! Doch dann wendet sich das Blatt.
Immer einen lockeren Spruch auf Lager: 1969 als DJ in einer Dortmunder Discothek, hinten Gudrun - war ich verknallt!
Wehrdienst in Lippstadt als Fernmelder, für mich wird der "Barras" zu einer wichtigen Zeit. Als einziger Nicht-Abiturient finde ich mich bei den Funkern wieder und dort in einer Gruppe von sehr kritischen jungen Männern. Statt Besäufnis (ok, war manchmal auch angesagt) gibt´s Kultur pur: Rock-Konzerte stehen auf der Tagesordnung, so lerne ich die Musik von Pink-Floyd, Deep Purple und Jethro Tull kennen. Unsere Deutsch-LK-Absolventen organisieren Lesungen - Brecht, Böll, Lenz - wir besuchen Veranstaltungen der Volkshochschule, ich lerne völlig neue Sichtweisen kennen, politische Diskussionen mit unseren Vorgesetzten sind an der Tagesordnung und der Spiegel wird meine Lieblingslektüre - ein echtes Kontrastprogramm.
Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt ("Innere Führung") erlaubt uns lange Haare - und der Spieß regt sich beim Morgenappell auf: "Sie müssen ja zum Scheißen die Haare heben" - wie oft haben wir uns eine Extra-Wache eingehandelt, gerne auch am Wochenende! Als Fahrer und Funker bin ich für den M113 Sieben-Null-Drei verantwortlich, einen zum Funkpanzer umgebauten Mannschaftstransportwagen MTW. Sieben-Null-Drei ist eine echte Scheißkarre. Batterieprobleme von Beginn an. Er konnte praktisch nur mit Netzanschluss fahren. Als ich mal krank war (dienst- und transportunfähig - letzteres war wichtig, sonst musste man sich trotz Krankheit in die Kaserne schleppen) und mein Vertreter nicht daran dachte, nach dem Wochenende am Ladegerät die Stopfen auf die Zellen zu drehen, explodierten die Batteriegase. Das ganze linke Heck platzte auf, der "Panzer" - Battle-Taxi - war ja aus Aluminium gefertigt. Das Ende von Sieben-Null-Drei. Zum Glück wurde niemand verletzt.
Ich habe ihn gerne gefahren, meinen M113. Mit 200PS zwar etwas untermotorisiert, machte es im Gelände trotzdem einen Riesenspaß. Technik pur. Schon geil, so eine Durchfahrt durch ein Wasserloch, die Bugwelle vorn höher als der Panzer. Wer Gas wegnahm, dem schwappte das Wasser in die Luken. Immer eine Mutprobe, man wusste ja nie, wie tief so ein Loch tatsächlich war. Dass der M113 in Diensten der US-Army auf dem Pressefoto des Jahres 1966 zu sehen war, in Vietnam, habe ich irgendwann später bei einer Protestveranstaltung gegen den Vietnam-Krieg festgestellt. Am Heck hatte man einen Menschen angebunden, der gerade zu Tode geschleift wurde. Da war´s dann vorbei mit den schönen Erinnerungen an Sieben-Null-Drei. Vortan war es ein anderes Bild, das sich im Gehirn breit machte beim Gedanken an den MTW.
Und er hat mich einmal sogar beinahe umgebracht, der Sieben-Null-Drei! Nachtfahrt in einem Manöver im Lipperland, Linkskurve. Um diese zu nehmen, muss die linke Kette etwas abgebremst werden. So werden Kettenfahrzeuge ja gelenkt, durch gezieltes Bremsen einer Kette. Als ich den linken Bremshebel anziehe, spüre ich keinen Widerstand. Er lässt sich bis zum Anschlag bewegen: Die Bremse ist defekt, damit lässt sich das Fahrzeug nicht mehr lenken - und auch nicht mehr bremsen! Wir rasen mit 60km/h auf den rechten Straßenrand zu, Bäume, dahinter Dunkelheit.
Klar hat der M113 ein zweites Bremssystem, Scheibenbremsen, der deutschen Straßenverkehrsordnung geschuldet. Sogar jedes Fahrrad braucht zwei unabhängige Bremssysteme. Aber was lernt der M113-Fahrer von Beginn an: Finger weg! Die Scheibenbremsen kennen nur zwei Zustände, los und fest. Sie sind bestens geeignet, um den Panzer "um eine Kette" drehen zu lassen, aber bei voller Fahrt, so alle Ausbilder, blockiert schlagartig die Kette. Das kann zum Überschlagen des Fahrzeugs führen, tödlich für die Besatzung, da Kommandant und Fahrer ja oben aus dem Panzer herausschauen. Zudem ist der M113 berüchtigt dafür, schnell in Brand zu geraten, wenn er auf dem Deckel liegt. Fluchtmöglichkeiten gibt´s dann keine, denn der Panzer wird über die Luken und eine Klappe an der Oberseite verlassen. Die große hydraulische Rampe am Heck wird sich in einem solchen Fall nicht mehr bedienen lassen und die schwere Hecktür müsste hochgedrückt werden - keine Chance!
Da der rechte Straßenrand und mit ihm ein Baum auf mich zurast, bremse ich leicht rechts, komme so knapp am Baum vorbei und der 12-Tonnen-Koloss schießt in die Böschung und einen Abhang hinunter. In die Dunkelheit. Ungebremst. Der Schalthebel ist schon vorn, trotzdem schaltet die Automatik nicht herunter, das würde uns bremsen. Also noch ein kräftiger Stoß an den Hebel, der Rückwärtsgang springt zum Glück ein und mit hässlichem metallischen Gekreisch und Geschepper kommt der M113 zum Stehen. Der Kommandant hat sich den Kopf angeschlagen, die Lippe blutet. Ich konnte ihn nicht warnen, es ging alles zu schnell. Wir steigen ab - Riesenglück gehabt. Nicht auszudenken, wenn das an einer anderen Stelle passiert wäre, etwa mitten in einem Ort oder auf einer Brücke...
Funkbereitschaft herstellen, Notruf absetzen - wir sind ja Funker. Der Oberfeld rast im Geländewagen heran, ist zuerst stinksauer. Doch als er sich selbst auf den Fahrerplatz setzt und am linken Bremshebel zieht, schaut er mich nur lange an, klopft mir dann auf die Schulter "Gut gemacht, Schulte, das hätte ins Auge gehen können". Zwei Monate brauchen die Kameraden vom InstZug, um den Schaden an Getriebe und Wandler zu beseitigen. Ich bin jeden Tag dabei, geruhsamer Dienst, lerne viel über die Technik von Kettenfahrzeugen. Zwischendurch Vernehmungen, ich habe ja immerhin Volkseigentum schwer beschädigt. Warum ich die Scheibenbremse nicht benutzt habe und in welcher Handreichung denn stehe, dass das gefährlich sei? Natürlich steht das nirgendwo, schriftlich findet man dazu nichts, denn das hätte den M113 die Straßenzulassung gekostet. Ich rege an, dass doch ganz einfach mal auf dem Truppenübungsplatz zu testen, bei moderater Geschwindigkeit. Das ist den Herren dann aber doch zu gewagt, so verläuft alles im Sande und ich werde belobigt für umsichtiges Handeln und gute Reaktion. Natürlich nur mündlich...
Auch beim Bund mit "Matte": Mögen Pferde eigentlich Pils? Ja, sie mögen, obwohl es Herforder ist!
Erste Folge der Menschwerdung: Noch während der Grundausbildung Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, Anerkennung in der 2. Instanz und Entlassung 1971. Nach der Rückkehr ins Zivilleben erste Resultate: Eintritt in die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), heute Mitglied in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Vattern ist sauer!
Festnahme an der Haltestelle "Hansastraße" wegen der Blockade einer Straßenbahn der Dortmunder Stadtwerke AG während der "Rote-Punkt-Aktion", Verurteilung wegen Nötigung - nötiges Opfer im Kampf um ein preiswertes Nahverkehrsmittel.
Nein, ich bin nicht der smarte Sonnenbrillen-Typ, wahrscheinlich von K14! Foto: Klaus Rose
Eintritt in die SPD, Mitarbeit in der JUSO-AG und später in den JUSO-Hochschulgruppen, im SHB, der sich damals noch "Sozialistischer" Hochschulbund nennen durfte, später dann in den "Sozialdemokratischen" Hochschulbund umbenannt und leider auch umfunktioniert wurde. Damit es keiner merkte, blieb die Abkürzung erhalten - eine der vielen Punkte, wo sich meine Faust in der Tasche ballte ob Mutter SPD und ihrer Funktionäre!
Und in der "richtigen" Freizeit? Eisenbahn war schon immer DAS Thema - die große und die kleine. Ich habe als Kind Stunden auf dem Hauptbahnhof zugebracht. 20 Pfennig kostete die Bahnsteigkarte, damit durfte man stundenlang Loks und Züge bestaunen. Mit dem Fahrrad gings zum Dortmunder Feld, dort wendeten die Schlepptenderlokomotiven über das Gleisdreieck und mussten dann auf die Fahrt zurück zum Hauptbahnhof warten. Natürlich durften wir in den Führerstand kommen. Ich habe sie noch gesehen, die letzten Dampfrösser: 01, 03, die 38 und die 78, die fleißigen 94er im Rangierdienst, manchmal noch eine 55 und natürlich die vielen 50er und 44er, die mit den Erzzügen nach Dortmund kamen. Und gerochen habe ich sie, diesen unvergleichlichen Duft von heißem Öl und Kohlenfeuer. Mit dem Älterwerden wurde es professioneller. Mitfahrten auf Führerständen, offiziell genehmigt, denn nun war die ernsthafte Fotografiererei dazu gekommen. Die ersten Bilder entstanden auf einer alten Voigtländer 6x9 Faltenbalg-Kamera, später dann 6x6 Mittelformat, die schwere Fototasche immer auf der Schulter. Da es für eine Rollei nicht reichte, war es eine Yashicaflex, eine zweiäugige Spiegelreflexkamera. Und natürlich eine Minolta Kleinbildkamera mit umfangreicher Objektivausstattung. Der Traum einer Hasselblad blieb immer ein solcher. Trotzdem gab es gute Fotos. Zusammen mit Freund Hjalmar in der eigenen Dunkelkammer, schwarz-weiß und Farbe. Bis 50x60 reichten die Schalen. Viele Bilder haben wir verkauft, unser Spitzenprodukt war das Treibrad einer 03, ab 30x40 konnte man jedes Detail der Stahl-Struktur erkennen, tolles Foto! Anders als heute kostete jeder Druck auf den Auslöser Geld, daher dachte man vorher über Motiv, Vorder- und Hintergrund, über die Tiefenschärfe und anderes nach. Vielleicht habe ich mir darum den Blick für gute Motive bis heute erhalten.
Parallel dazu lief das Sammeln von Lokschildern. Die konnte man damals für kleines Geld ganz legal bei den Ausbesserungswerken kaufen. Als Jahre später der Platz knapp wurde, mussten sie verkauft werden. Zu dem Zeitpunkt herrschte aber schon Endzeitstimmung und es wurden Liebhaberpreise für bestimmte Baureihen gezahlt! Das rief Diebe und Geschäftemacher auf den Plan und irgenddwann gab es Kontakt mit der Staatsmacht: Die Deutsche Bundesbahn, Staat im Staat mit eigener Polizei, stand plötzlich vor der Tür, Hausdurchsuchung! Vorwurf: Verkauf von gestohlenem Material - doch ich konnte für alle Schilder den legalen Erwerb nachweisen. Ein geordnetes Ablagesystem war schon immer meine Stärke!
Und so lange ich denken kann, gab´s eine Modellbahn. Erst von Trix, die mit den drei Stromschienen, später dann 2-Leiter-Gleichstrom, erst HO, irgendwann dann Spurweite 9mm und eine große N-Anlage. Viel Später hat das vertrackte Modellbahnvirus dann noch einmal heftig zugeschlagen, kann man alles hier nachlesen: www.timmerbruch.de. Das Filmen kam dazu, mit der Nizo von Braun auf Super 8, später dann auf DV und als der erste MAC im Hause stand, ein Performa 6400 mit AVID-Cinema-Karte gab es auch die ersten Filmbearbeitungen am Computer, in grauenhafter Qualität, aber mehr war datenmäßig einfach nicht drin. Für das Rendern eines 20-Minuten-Film mit 640x480 Pixel (Mäusekino) brauchte der Rechner damals mehrere Tage. Während dieser Zeit war er nicht für andere Zwecke zu nutzen und man konnte den Vorgang weder unterbrechen noch teilen, um etwa nur nachts zu rendern. Besonders beliebt waren dann, nach zwei bis drei Tagen Dauerbetrieb, kryptische Fehlermeldungen wie "Es trat ein Fehler auf, der Vorgang musste abgebrochen werden" - man musste schon ein ganz überzeugter Cineast sein, um das zu ertragen. Aber jeder schnellere Prozessor ermöglichte bessere Ergebnisse, Adobe´s Premiere und Apple´s Final Cut brachten dann den Durchbruch und das Ende der pixeligen Videos.
Studium der Lebensmittelchemie an der Fachhochschule Lippe in Lemgo - es beginnt mit einem tollen Erlebnis. Am Vorabend des Semesterbeginns völlig allein in einer unbekannten "Stadt". Ich habe mir ein preiswertes Hotelzimmer genommen und hoffe, schnell eine Bude zu finden. Am Schwarzen Brett wird zu einem "Informationsabend der Verbindungen" eingeladen. Informationen sind immer gut, also gehe ich dahin. Eine richtig tolle alte Kneipe, Riesentisch, vor Kopf sitzt ein komischer Vogel in seltsamer Verkleidung - da wird mir erst klar, dass "Verbindung" für studentische Verbindung, für Burschenschaft steht! Ach du dicker Vater, wo bin ich da hineingeraten - ich hatte in meinen kindlichen Vorstellungen immer gedacht, so etwas gäbe es allenfalls noch in Heidelberg für die amerikanischen Touristen. Nein, sie leben noch - und wie! Im Schnelldurchgang werden wir - sechs Gäste und eine Gästin - in den Sinn einer solchen Verbindung eingeführt, wir lernen den Fuxmajor und seine Aufgaben kennen, einige Alte Herren schwärmen unverblümt von ihren tollen Möglichkeiten, Farbenbrüder zu unterstützen und dann wird noch mit einem Schaubild die mögliche Karriere in einer solcher Verbindung veranschaulicht. Meine Güte! Mein Erlebnis muss ich in den nächsten Wochen noch mehrmals schildern. Zum Glück entpuppen sich einiger der Gäste als Mitglieder anderer Studentengruppen, zwei gehören dem SHB an, und mit denen geht´s dann noch in die nächste Pinte. Als ich Stunden später ins Hotelbett sinke, habe ich nicht nur zwei Adressen für ein möbliertes Zimmer, ich habe auch jede Menge Namen, jede Menge Termine und andere Informationen auf dem Zettel. Mir schwirrt der Kopf, aber das ist wohl hauptsächlich dem Bier zuzuschreiben. Der Sozialistische Hochschulbund stellt in Lemgo zusammen mit dem MSB Spartakus die Mehrheit in Studentenparlament und ASTA. Da mache ich sofort mit. Wobei das nicht einfach ist, denn die nehmen nicht jeden. Es gibt Schulungen und Seminare und so etwas wie eine Art Aufnahmeprüfung. Hauptfach: Stamokap, staatsmonopolistischer Kapitalismus. Man ist SEHR links, die Spitzen von MSB und SHB haben zusammen ein ganzes Haus gemietet, in dem man sich auch abends trifft. Ich find´s klasse!
Ein Schlüsselerlebnis bringt mir viel Anerekennung und ist vielleicht prägend, ja, wahrscheinlich ist es die Ursache allen Übels das da noch kommen sollte: Es geht mal wieder um die neue Studienordnung, dieses Thema hat mich während meiner gesamten Studienzeit begleitet, auch später in Dortmund. In Lemgo sind vor allem wir als experimentelle Abteilung betroffen. Es soll festgeschrieben werden, dass man nur nach bestandenem Laborpraktikum I die zweite Veranstaltung usw. besuchen darf - die Sperrscheine sollen eingeführt werden. Da die Laborplätze knapp sind, nicht immer alle sofort teilnehmen können und die Prüfungen wegen der geforderten Genauigkeit bei den Analysen ziemlich schwierig sind, viele beim ersten Versuch durchfallen, sind die Konsequenzen klar: Regelstudienzeit ade, das schafft man nur in Ausnahmefällen. Da zahlreiche KommilitonInnen wie ich mit bereits abgeschlossener Berufsausbildung hier studieren, also schon etwas älter sind und ihr Studium oftmals selbst finanzieren müssen, ist die Stimmung explosiv. Vollversammlung, die große Turnhalle gerammelt voll und ein Student (anderntags in der örtlichen Zeitung als "Rufer in der Wüste" bezeichnet - auch da erlebe ich erstmalig mit, wie manipulativ unsere Presse teilweise ist) stellt sich ans Mikro und fordert alle anderen auf, sich nicht so anzustellen. Das sei doch alles mit ein bisschen Einsatz locker zu schaffen. Man müsse sich natürlich schon mal anstrengen, doch man solle diese neue Regelung mit den Sperrscheinen nicht gleich verteufeln. Erst mal machen, das seien doch alles nur normale Versagens-Ängste usw. usw. Gellendes Pfeifkonzert. Ich melde mich zu Wort! ICH! Noch nie habe ich vor mehr als 10 Menschen gesprochen, und das war in meiner Heimatkirchengemeinde, wo ich als 16jähriger den ganz Kleinen vor dem eigentlichen Kindergottesdienst den Bibelspruch des Tages erklärt habe (musste, mein Vater war Presbyter und Kirchmeister!). Ich also zum Mikrofon, der Versammlungsleiter sorgt für Ruhe und ich sage nur zwei kurze Sätze: "Lieber Kommilitone, da hast Du wahrscheinlich andere Erfahrungen in den Prüfungen gemacht als die meisten hier. In welchem Semester bist Du eigentlich?" Stille, der kommt zurück ans Mikro und stammelt: "Ja, es stimmt, ich habe mich gestern erst hier eingeschrieben", die folgenden Erklärungsversuche, warum er dennoch zu solchen "Erfahrungen" gekommen ist, gehen in ohrenbetäubendem Gejohle unter. Schulterklopfen, Lob von allen Seiten und ein tolles Ergebnis für mich bei den Wahlen zum Studentenparlament. Natürlich werde ich auch in die Fachbereichskonferenz gewählt, wo es genau um diese Studienordnung geht und bin Mitorganisator der Rektoratsbesetzung, als sich abzeichnet, dass Änderungen am Entwurf der neuen Studienordnung "nicht vorgesehen" sind. Die Polizei räumt das Rektorat, für uns bleibt das folgenlos, alles wird mit lipperländer Gemütlichkeit erledigt. Natürlich beruhte mein Wortbeitrag auf einem Zufall: Ich hatten den Typen am Vortag im Sekretariat bei seiner Immatrikulation gesehen, er war mir da aufgefallen, weil er der Sekretärin sehr wortreich (und laut) erklärte, dass er geradewegs von der Bundeswehr komme - manchmal hilft eben der Zufall.
1974
Wie so oft merkt man erst nach vielen Jahren, dass Dinge passieren, die einen für das ganze spätere Leben prägen. Beispiel Mathe: das Studium ist anfangs Hardcore, vor allem in dieser Disziplin: Dreisatz, binomisch Formeln, Pythagoras - da war doch was? Ich war in der Schule nicht schlecht in Mathe, aber wie lange ist das her? Nun Gleichungen mit zwei (ZWEI!!!) Unbekannten, Kurvendiskussion, Statistik, Standardabweichung, Varianz - herje! Zum Glück weiß man in Lemgo um die Probleme der Menschen, für die Schule nur noch eine mehr oder weniger schöne Erinnerung ist. Es gibt Übungen und viele viele "Hausaufgaben" - und so kommt man wieder ´rein. Dabei war der Mathe-Dozent eine besondere Nummer: Dr. Stöckmann, ein sehr junger und sehr sympathischer Mensch. Damals waren die FH-Dozenten "per Generalamnestie" (O-Ton Stöckmann) gerade allesamt zu Professoren "gemacht" worden.
Während andere Dozenten auch auf wolkigen Tafeln schrieben, schritt Stöckmann zur Tat. Bevor Vorlesung oder Übung überhaupt begann, wurde die Tafel von ihm selbst ("Studenten können alles, nur keine Tafel putzen!" - O-Ton) nass gewischt und dann mit einer langen Flitsche abgezogen, Schwamm drunter, damit es keine Sauerei gab. Präzise Wissenschaft braucht eine saubere Tafel - das war sein Spruch. Bis zur letzten Stunde habe ich in meinem späteren Lehrerleben meine Tafeln in der Schule genau SO geputzt. Selbst geputzt. Und auch die Bedeutung eines klaren und übersichtlichen Tafelbildes ist mir hier deutlich geworden und mein Wissen um die Tafelblindheit habe ich von ihm, wie oft sagte er diese Worte, wenn jemand von uns an der Tafel schier verzweifelte: "Treten Sie doch einfach mal ein paar Schritte zurück" - und schon sah man das Problem. Der Stöckmann, bei dem ging man gerne an die Tafel, er half durch kleine Impulse, wenn´s mal nicht mehr weiterging. Blieb immer fair und hatte dazu noch eine sehr unterhaltsame Art zu lehren, richtig lustig, kleine Geschichtchen hier und da, da machte das Lernen Spaß. Wir haben viel gelacht. Klasse Mann! Dass meine letzten Klausuren ein "Sehr gut" bekamen, lag sicher auch daran. Niemand lernt eben nur für sich und das Leben, man lernt immer auch für den Pauker! Und man lernt besser, wenn man es angstfrei und mit Spaß machen kann und wenn der Pädagoge vielleicht noch ein netter Typ ist. Auch diese Erkenntnis habe ich in mein späteres Lehrerleben mitgenommen.
Aber: Wir mussten uns alle erst einen Rechenschieber kaufen, den StudioLog von ARISTO. Sauteuer, ich glaube, so um die 40 Mark, das wären inflationsbereinigt heute geschätzte 80€ - viel Geld für einen Studenten. Klar gab es auch schon Taschenrechner. Aber die waren unbezahlbar. Als ich mir zwei Jahre später meinen ersten Taschenrechner kaufen konnte, hatte der EINEN Speicherplatz und kostete 400 Deutsche Mark - inflationsbereinigt fast 800 Euro, aber ein Physikstudium ohne war damals schon nicht mehr vorstellbar. Als übrigens wiederum drei Jahre später der Akku vor die Hunde ging, habe ich den Rechner weggeschmissen - das tat weh. Doch der Ersatz-Akku hätte 60 Mark gekostet, für 30 DM gab es aber schon einen neuen Rechner, zehn Speicherplätze, Klammerrechnung, statistische Funktion - da fiel die Entscheidung leicht. Doch zurück nach Lemgo: Mit dem StudioLog drang ich wieder in die Tiefen der Mathematik ein. Und das Arbeiten mit dem Präzisionsteil hat mich für den Rest meiner beruflichen Laufbahn geprägt. Toll an einem solchen Schieber ist ja, dass man zwar mit hinreichender Genauigkeit ausrechnen kann, welche Ziffern das Ergebnis bilden, also etwa 3257. Aber: ob es nun 3,257 oder 325,7 sind - das musste man durch kurzes Überschlagen der Rechnung vorher abklären. Daher war die Überschlagsrechnung ein wichtiger Teil des Ergebnis-Findungs-Prozesses. Und Stöckmann gab sich große Mühe, uns die Angst vor´m großzügigen Kürzen zu nehmen. Selbst wenn der Bruchstrich über die ganze lange Tafel reichte, schaffte er es, mit einigen wenigen kühnen Strichen zu einem Ergebnis zu kommen, das einem schon einmal die Größenordnung verriet.
Wie wichtig dieses Gefühl für die Zahlen ist, wurde mir erst später als Lehrer klar, in einer Zeit, als der Taschenrechner schon überall Einzug gehalten hatte und die Schüler alles, was da angezeigt wurde, für bare Münze nahmen. "Wieso, hat doch der Rechner ausgerechnet" war die typische Antwort, etwa wenn der 100-Meter-Läufer am Ziel eine imaginäre Kugel aus der Startpistole hätte überholen können. Wie dem auch sei, es kam der Tag, da musste sich auch Stöckmann an die Kunst des Überschlagens erinnern. Er hatte sich nämlich einen High-Tech-Taschenrechner gekauft, einfach weil das Korrigieren der Klausuren mit dem Nachrechnen bei Fehlern mit einem elektronischen Gehilfen fixer von der Hand ging und viel Zeit sparte. Als Professor wusste er natürlich genau, was er seinen Studenten schuldig war: Es war ein Rechner (Texas Instruments oder Hewlett-Packard) mit umgekehrter polnischer Notation, mehreren Klammerebenen und zehn Speicherplätzen sowie statistischen Funktionen. Kosten damals weit über tausend Demark - wir waren begeistert und Stöckmann total stolz. Manchmal ließ er einen von uns zur Kontrolle auf dem Rechner nachrechnen - oh, das Wunderteil behandelte man wie ein rohes Ei. Und dann kam der Tag der Tage: Die Tafel wieder voll, wieder langer Bruchstrich am Ende einer aufwändigen Berechnung. Stöckmann wollte uns provozieren, "mal sehen wer schneller ist" und begann wie ein Tastenclown zu tippen (heute erreicht jedes halbwegs normal simsende Grundschulkind diese Geschwindigkeit mit Leichtigkeit - damals waren wir fasziniert). Aber noch während er tippte, gab es erste Lacher, dann mehr und irgend wann schaute unser Meister der Zahlen auf, trat zwei Meter zurück, um den gesamten Bruchstrich im Blick zu haben, schüttelte den Kopf und steckte seufzend den Rechner in die Tasche: Es kam 12,5 heraus, ganz einfach zu kürzen, da musste nicht einmal der StudioLog ´ran. Ich weiß bis heute nicht, ob das eine gekonnte Inszenierung von ihm war oder ob er wirklich auf die Magie des tollen Taschenrechners hereingefallen ist. Er war immer so gut vorbereitet, daher möchte ich letzteres eigentlich gar nicht glauben. Oder doch?
Stöckmann war einer jener Menschen, die mich für mein gesamtes Berufsleben geprägt haben. Das Kürzen war die eine Sache, die andere war seine mustergültig saubere Tafel und die klaren Tafelbilder, habe ich oben schon beschrieben, das Wissen um die Tafelblindheit und letztlich die wichtigste Erkenntnis überhaupt: Unterricht MUSS Spaß machen, muss in einer entspannten Atmosphäre stattfinden und Erfolge der Schüler sind extrem wichtig, da darf man gerne mal etwas nachhelfen, weil es danach dann oft von ganz allein läuft.
So hat Prof. Dr. rer. nat. Manfred Stöckmann sehr viel mehr für mich getan als mir den StudioLog und die Varianz beizubringen...
2008 bei seiner Verabschiedung - Prof. Dr. rer. nat. Manfred Stöckmann - rechts. Ich finde, er hat Ähnlichkeit mit Doc Brown aus "Zurück in die Zukunft" - oder?
Auf jeden Fall machten mir die Naturwissenschaften so viel Spaß, dass ich umsatteln wollte! So kam der nächste Schritt: "Begabten-Sonderprüfung zur Zulassung zum Studium an einer Pädagogischen Hochschule", danach Studium der Fächer Physik, Chemie und Erziehungswissenschaften an der Päd. Hochschule Ruhr in Dortmund.
Und auch hier gab es wieder einen Menschen, der mir wichtige Impulse für mein späteres Berufsleben mit auf den Weg gab. "Mein" Physik-Prof., Prof. Dr. Dieter Nachtigall. Er hatte den Ehrgeiz, uns nicht nur fachlich excellent vorzubereiten, auch das nötige Handwerkszeug zur praktischen Vermittlung lag ihm am Herzen. Er selbst tauchte an einem Tag in der Woche in den Lehreralltag einer normalen Schule ein und wusste daher genau, wovon er sprach. In seinem Didaktikum etwa wurden Physikstunden vor fiktiven Klassen "unterrichtet" und anschließend diskutiert. Immer in fairer Art und Weise, immer mit Blick auf die Frage "Wie kann ich die Physik erfolgreich an die Schüler bringen?". Er war es, der mich ermutigte, als Tutor tätig zu werden.
Und er war es auch, der meinen Unterrichtsstil maßgeblich geprägt hat. Denn da war er einsame Spitze. Seine Ideen, selbst schwierige Inhalte mit Spaß an den Mann und die Frau zu bringen - legendär. Unvergessen, als er sich in der Vorlesung bis auf die Hose auszog und auf ein selbst gebautes Nagelbrett legte - vor versammelter Mann- und Frauschaft! Oder als wir ihn, auf einem Labortisch sitzend, mit konstanter Kraft über den langen Flur ziehen mussten und er nach der großen Stoppuhr Dartpfeile auf den Fußboden fallen ließ um uns zu zeigen, wie sich das mit der Änderungsrate einer Änderungsrate darstellt. Höhepunkt war, als er sich im großen Hörsaal mit dem Kopf an die Wand stellte und die Assistenten einen großen Felsblock an einem langen Seil bis an sein Kinn zogen und diesen dann losließen. Und das Pendel schwang sich mit singenden Geräuschen quer durch den Hörsaal und kam dann mit affenartiger Geschwindigkeit auf ihn zugerast, ihn, der mit dem Kopf nicht ausweichen konnte. Vertrauen in die Physik nannte er das. Erst später habe ich erfahren, dass er auch politisch viel erlebt hatte. Zwei Fluchten aus Kriegsgefangenschaft, aktiv am 17.Juni, Bespitzelung durch die STASI - viele Dinge, die einen Menschen prägen.
Seine Tür stand immer für uns offen, seine Tutoren bereitete er für die Übungen selbst auf schwierige Inhalte in den Vorlesungen vor. Völlig unprätentiös wie er war, quetschte er sich dann auch mal zwischen uns, wenn wir diskutierten. Denn er hatte den Flurbereich der Physik durch Sitzmöbel zu unserem Aufenthaltsraum gemacht. "Gehe´n wir zu uns" hieß immer rauf in die Physik, ganz oben, da wo man auch mal einen Eimer mit Wasser (und Loch) zur Demonstration des freien Falls nach unten sausen lassen konnte. 2010 ist er gestorben, seine Ideen haben ihn bis nach China gebracht, geehrt durch viele Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden hat er sich bis zuletzt um die Lehrerausbildung und die Didaktik der Physik verdient gemacht. Der Nachtigall.
Während des Studiums Mitarbeit in Studentenparlamenten und Fachschaften (wieder geht es um eine neue Studienordnung), an einem Tag in der Woche Unterricht am Heinrich-Heine-Gymnasium in DO-Nette. Naturwissenschaftler sind rar und der Schornstein muss rauchen! Zusätzlich arbeite ich noch an einer obskuren Privatschule - die Inhaberin betreibt nebenbei auf gleichem Grundstück einen Kohlenhandel!
1977 Erste Staatsprüfung, 1980 vorgezogene Zweite Staatsprüfung, danach sofort Dienstantritt am Heinrich-Heine-Gymnasium als Lehrer im Angestelltenverhältnis, daher kein Leerlauf nach dem Examen und während der großen Ferien sogar Anspruch auf Arbeitslosengeld!
Lehrer am Heinrich-Heine-Gymnasium in DO-Nette (bis 1994) und danach am Immanuel-Kant-Gymnasium in DO-Asseln, ab 1999 Europaschule DO-Wambel, der zweiten Gesamtschule in meinem Stadtbezirk. Viele Jahre Verbindungslehrer der Schülervertretung und Vorsitzender des Lehrerrates. Zusammen mit der Schülervertretung viele gemeinsame Segeltörns um das Miteinander zu stärken, bei mir stärkt es die Seemannschaft!
Europaschule 2003, Schüler beim völlig untauglichen Versuch, ihre Kursnote aufzupolieren
Die vielen Segeltörns mit Schülern und Schülerinnen, oft als Törn der Schülervertretung über einen Brückentag, mit Freunden, häufig gemischten Gruppen haben zu vielen tollen Erlebnissen geführt. Selbst mit einem Rahsegler waren wir unterwegs, in der dänischen Südsee! Geblieben sind viele Bilder, Filme und Erinnerungen. Manches war durchaus dramatisch, etwa auf Legerwall vor Kursør, die Sturmfahrten im Watt oder als nach dem Landgang auf einer Insel ein Schlauchboot abtrieb, weil der Motor streikte. Viele Reiseberichte erzählen von diesen Fahrten.
Mitarbeit in der Wickeder SPD, nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl halte ich ein Referat über die Havarie in Weißrussland vor der Mitgliederversammlung und fühle mich dort sehr gut aufgehoben, fortan sieht mich der Ortsverein öfter und zwei Jahre später wählt man mich zum Beisitzer, 1990 zum stellv. Vorsitzenden und 1992 gar zum Vorsitzenden.
Mitglied der Bezirksvertretung Brackel. Einer der vielen ungeplanten Zufälle, die das Leben so produziert: Irgendwann muss ich wohl mal auf eine Kandidatenliste gerutscht sein, plötzlich trat dann der "Ernstfall" ein - der Mandatsträger dankte ab und ich saß da im erlauchten Kreis der Bezirksvertreter und durfte mich um Glascontainer und Straßennamen streiten. Nach knapp zwei Jahren stand ich dann wieder auf der Liste, diesmal auf Platz 1 und so wurde ich nach gewonnener Wahl 1994 am 10.11.1994 von der Bezirksvertretung zum Bezirksvorsteher gewählt.
Mit Alt-OB Günter Samtlebe vor einer Veranstaltung an der Europaschule
Kommunalwahlkampf unter schlechten Bedingungen: Die Genossen in Berlin lassen keine Panne aus und "Genosse Trend" weist selbst in der "Herzkammer der Sozialdemokratie" (Herbert Wehner) die Richtung.
Dreamteam: Gemeinsam mit meiner Fraktionsvorsitzenden Eli Vossebrecher beim Foto-Shooting für die Wahlplakate - das Bild bringt die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit vieler Jahre sehr gut rüber. Da ist nichts gestellt, das Lachen echt und die gemeinsame Arbeit hat uns beiden sehr viel Spaß gemacht. Manchmal stimmt eben ganz einfach die Chemie! Und das ist bis heute so geblieben. Dann und wann schütteln wir am Telefon gemeinsam den Kopf über das, was unsere Nachfolger so anstellen...
Doch was nutzen gute Leistungen, wenn die Stimmung mies ist: Nach heißem Wahlkampf gegen einen völlig neuartigen Gegner, der ohne jede Erfahrung statt Brillen nun Politik verkaufte (und sich derselben Werberezepte wie für seine Linsen bediente), verliert die SPD in Dortmund ihre absolute Mehrheit, in Brackel allerdings steht die Koalition mit den Bündnisgrünen, daher Wiederwahl zum Bezirksvorsteher mit den Stimmen von SPD und Bündnis90/Die Grünen. Dann entzündet sich an der Diskussion um den Ausbau des Asselner Hellweges ein großer Streit bei den Grünen, Hannes Fischer tritt darauf hin bei den Grünen aus und schmiedet das Bürger-Bündnis, später tritt er der Bürgerliste bei* (die daraufhin zur 5. Kolonne der CDU mutiert und als Zünglein an der Waage die völlige Unberechenbarkeit in die Brackeler Politik einziehen lässt). So wird schon kurz nach der Wahl die Stimmung eisig und die Arbeit schwierig. Als Sitzungsleiter habe ich die Mehrheit gegen mich, Geschäftsordnung und Taktik werden wichtig, ebenso wie die gute Zusammenarbeit mit der Ratsfraktion. So können wir Beschlüsse über den Rat und die Ausschüsse zurück holen - dort macht die Rot-Grüne Koalition weiter gute Politik für Dortmund!
Aber das schaffen wir 2003 trotz aller Widrigkeiten: der gesamte Stadtbezirk mit seinen Vereinen und Organisationen feiert die Stadtbezirksolympiade. Es war nicht einfach, alle unter einen Hut zu bekommen, aber am Ende war es ein tolles Wochenende mit vielen Angeboten für alle Altersgruppen. Hellwegsperrung mit verkaufsoffenem Sonntag im gesamten Bezirk als Abschluss - das hatten sich die Gewerbetreibenden gewünscht. Auch das ein voller Erfolg. Aber ehrlich: eine Heidenarbeit, die letztlich an wenigen Personen hängen blieb. Trotzdem: es hat Spaß gemacht zu sehen, was unser Stadtbezirk kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Mehr Infos, mehr Fotos gibt es HIER!
Neues Spiel und neues Glück? Kommunalwahlkampf 2004, wieder geht es um die Wurst, die Bundesregierung unter Gerhard Schröder hat die längst überfälligen Reformen auf den Weg gebracht und sich nicht nur Freunde gemacht, wieder bläst uns der Wind ins Gesicht. Schwieriger Wahlkampf, erst gegen Ende macht sich eine leichte Besserung der Stimmungslage bemerkbar, die Menschen sehen zunehmend die Notwendigkeit der Reformen ein und viele erkennen das schmutzige Spiel der Schwarzen mit den Ängsten der Bürger. Und am Wahltag endlich wieder ein akzeptables Wahlergebnis - die CDU zurück gestutzt auf ihre eigentliche Größe und in Brackel eine stabile Koalition mit den Bündnis-Grünen - und Wiederwahl zum Bezirksvorsteher - die dritte Amtsperiode als "Bezirksfürst" - mit einer komplett neuen Mannschaft.
Nicht ist von Dauer - wegen ständiger Querelen mit dem Fraktionsvorsitzenden tritt eine Genossin nach der "Email-Affäre" aus der SPD aus - weg ist die Mehrheit! Die Arbeit wird wieder schwierig und der Versammlungsleitung kommt erneut eine besondere Bedeutung zu - manchmal geht es eben nur so. Die Geschäftsordnung wird wieder meine Lieblingslektüre! Immerhin können wir nach vielem Hin- und Her mit kluger Taktik eine Herzensangelegenheit regeln: Der BVB, zu dieser Zeit der "vor Klopp-Ära" nicht gerade erfolgsverwöhnt, bekommt wunschgemäß eine neue Adresse im Stadtbezirk. Auf der Hohenbuschei-Fläche liegt das neue Trainingszentrum und wir setzen gegen die CDU den BVB-Wunsch-Namen Adi-Preißler-Allee durch! Meine Idee: Alle Straßen rund um das Trainingsgelände werden nach BVB-Legenden benannt. In einem Gespräch kläre ich schon im Jahr 2006 zusammen mit Reinhard Rauball und Hans-Joachim Watzke die Modalitäten für solche Straßenbenennungen und die beiden erstellen dann eine Wunschliste mit neun Namen. Als Adresse fürs Trainingszentrum wünschen sie sich - natürlich - Adi-Preißler-Allee. Der Mann, der wie kein Zweiter bis heute den BVB prägt. Sein Zitat: "Grau is alle Theorie - entscheidend ist auf´m Platz" hängt heute im Trainingszentrum. 2003 im Alter von 82 Jahren gestorben, absolvierte er sein letztes Spiel im Borussen-Trikot am 20. September 1959 beim Derby gegen Schalke 04, das der BVB 5:0 gewann.
Adi Preißlers Tochter und seine Söhne mit dem Legendenschild
Ich habe es nie verstanden, aber die CDU wollte unbedingt einen anderen Namen gerade für diese Straße, einen anderen Namen als der Verein, der wie kein anderer seine Heimatstadt nach außen repräsentiert, der "wichtigste Exportartikel" Dortmunds, dessen Erfolge und Niederlagen Stimmung und Klima in der Stadt bestimmen wie kaum sonst ein Ereignis - es wird mir immer rätselhaft bleiben, wie man einen solchen Wunsch vom Tisch wischen kann. Jedenfalls hatte die SPD-Fraktion den Antrag gestellt, die Stichstraße Adi-Preißler-Allee zu nennen. Als sich abzeichnete, dass die CDU und die ihr zugelaufenen Hilfstruppen (im Zweifel immer gegen die SPD) krankheitsbedingt eine Mehrheit haben würden, zog die SPD den Antrag zurück und ich nahm den Punkt daher von der Tagesordnung. Hui, das gab einen Riesenaufstand, denn die Zufallsmehrheit hätte man gerne ausgenutzt. Sitzungsunterbrechung, wilde Drohungen - ich bin hart geblieben, der Punkt wurde nicht behandelt und eine Sitzung später dann wurde der Antrag erneut und mit SPD-Mehrheit beschlossen und der BVB hatte seine Wunschadresse. Unten Schnappschuss nach der Einweihung der Adi-Preißler-Allee - v.l. Hans-Joachim Watzke, BVB-Geschäftsführer und Wolfgang Paul, Vorsitzender des Ältestenrats; daneben wahrscheinlich seine Gattin, dann Friedhelm Sohn und Siggi Held, rechts neben mir Hoppy Kurrat - lebende BVB-Geschichte.
Für mich ging es in dieser Sache dann noch in die Nachspielzeit: Die CDU beschwert sich (mal wieder) beim Ältestenrat über mich und als der nicht wunschgemäß reagiert sogar beim Regierungspräsidenten. Und Diegel, CDU-Mitglied und ständig in Dauerfehde mit dem roten Dortmund und seinem erfolgreichen Oberbürgermeister steigt vom hohen Ross in Arnsberg sogar in die Niederungen der Bezirksvertretungen herab und kritisiert meine Versammlungsleitung - ich fasse das als Ehre auf! BVB-Präsident Hans-Joachim Watzke bedankt sich persönlich. Ich erzähle ihm vom Rüffel aus Arnsberg, später schreibt er in einem Brief, dass das, "was hier für die gemeinsame Sache geleistet wurde, aller Ehren wert ist." Ok, dann sehe ich mal mein tatktisches Foul unter diesem Aspekt!
Rede auf der zentralen Mai-Kundgebung des DGB in Dortmund im Jahr 2007
Ende des Jahres der Paukenschlag: Der Rat beschließt, dass die Bezirksvorsteher allesamt zu Bezirksbürgermeistern werden - welch ein Aufstieg!
Rede auf dem Parteitag, rechts der UB-Vorsitzende (und Skipperkollege) Franz-Josef Drabig ♱
Nach vielen Querelen kandidiert Langemeyer nicht erneut und in einer Urwahl legen sich die Mitglieder auf Ulli Sierau als Nachfolger fest, der Parteitag bestätigt diese Wahl und damit auch die Politik Langemeyers, denn "uns Ulli" ist als Stadtdirektor schon lange Teil-Vater der vielen Erfolge Dortmunds.
Mehr Einzelheiten: Hier nachlesen...
Ulli Sierau - am Rednerpult - und JUSO-Demo "Ulli wählen" im Dezember 2008 auf dem Wahlparteitag
Wahlkampf macht wieder Spaß, überall punkten wir und wenige Monate vor der Wahl zeichnet sich in allen Umfragen ein deutlicher Sieg für uns in Dortmund ab. Auch unser OB-Kandidat wird es ohne Schützenhilfe der Grünen schaffen. Die CDU reagiert verbiestert, hält sich nicht an Absprachen und plakatiert lange vor dem ausgemachten Termin überall ihren in Dortmund unbekannten Kandidaten. Mit Pohlmann hat sie einen echten Glücksgriff getan, in jeder Diskussionsrunde - und davon gibt es viele - leistet er sich schlimme Patzer. Eine besonders peinliche Panne erlebe ich selbst: Das Dortmunder Frauen Forum hat die Kandidaten eingeladen und Pohlmann will bei den Damen punkten, er kritisiert, dass es in der Verwaltung keine Amtsleiterinnen gibt. Unter lautem Gelächter stehen die beiden Amtsleiterinnen auf, die zufällig im Publikum sitzen (es gab damals deren drei). "Das hat man mir so aufgeschrieben" - seine Standard-Entschuldigung für solche Fälle - kann man so die Verwaltung einer Großstadt lenken? Auf jeden Fall gibt es ein sehr gutes Ergebnis und zusammen mit den Freunden von den GRÜNEN vereinbaren wir unsere erfolgreiche Zeit auch in schwierigen Zeiten fortzusetzen.
Mehr Einzelheiten: Hier nachlesen...
Mit Oberbürgermeister Ulli Sierau bei der Radtour "Krumme Touren mit dem Bezirksbürgermeister"
Und da die CDU dazu noch ein Personal-Problem in der konstituierenden Sitzung hat - nicht alle sind an Bord - bieten wir ihr an, eine gemeinsame Liste zu bilden. Und sie nimmt an und wir alle kommen auf diese Art und Weise zu einem einstimmigen Ergebnis und ich zu einem Blumenstrauß. Dabei ist das politische Klima in der Stadt eisig: Einen Tag nach der Wahl verhängt die Kämmerin eine Haushaltssperre, obwohl sie noch zwei Wochen vorher durch die Presse vermelden ließ, Dortmund hätte seine Finanzen trotz Wirtschaftskrise sehr gut im Griff. Danach wird sie dauerkank und wir müssen die Scherben zusammen kehren, uns mit dem Vorwurf des Wahlbetruges auseinander setzen und so ganz nebenbei auch noch einen Nachtragshaushalt auf den Weg bringen. Unser Ziel: Den Sauerländer CDU-Regierungspräsidenten aus der Stadt fern halten, denn der wetzt schon die Messer um das ungeliebte rote Dortmund zu schleifen.
Jedenfalls läuft die politische Arbeit endlich wieder an und Halloween erschrecken wir die Bewohner des verkehrsberuhigten Wohnparks mit einer Geschwindigkeitsmessung. Immer wieder beklagen sich die Anlieger des Vorzeigequartiers über die Raser, ihre eigenen Nachbarn, und wir wollen uns der Bitte um Abhilfe nicht verschließen. Die CDU will einfach nur weitere Schilder, wir tun was und klären auf mit Flugblättern und eben dieser Aktion. Steffi und Robert sind mit dabei, obwohl: Steffi ist ja eigentlich kontraproduktiv, trotz der Hörner kann sie niemanden wirklich erschrecken. Dafür reißt Robert es voll raus, und natürlich ich - eine Maske brauche ich nämlich nicht um Angst und Schrecken zu verbreiten, mir reicht schon ein schicker Hut....
Mit freundlicher Genehmigung von Oliver Schaper www.pressefoto-do.de
Lesen mit Lenni......am bundesweiten Vorlesetag: Was der Bundespräsident kann macht der Bezirksbürgermeister doch schon lange! Und natürlich wird nicht einfach eine Geschichte vorgelesen - Lenni kommt mit und so wird der spannende Krimi um die schwarze Labrador-Hündin Jessie zu einem besonderen Erlebnis! Allerdings macht Lenni die Veranstaltung für mich zu einer Herausforderung und ich muss tief in die pädagogische Trickkiste greifen: Die Kinder erliegen seinem Charme völlig, die Ruhr-Nachrichten schreiben: "Lenni nutzt jede Möglichkeit die Kindermenge aufzumischen, die vielen tätschelnden und kraulenden Händepaare bringen ihn aber nicht aus der Ruhe, er scheint die Aufmerksamkeit sichtlich zu genießen" Immerhin attestieren sie mir, dass "vor allem das mitreissende Erzählen die Geschichte spannend" gemacht und die Kinder begeistert und gefesselt hat - endlich mal jemand, der meine Fähigkeiten beschreibt - aber das machen eben die vielen Jahre in der Politik, da kann man Geschichten erzählen....