Mit dem Boot im Ruhrgebiet unterwegs

Samma, watt is los?

Das Ruhrgebiet ist Ballungsraum und Schmelztiegel - immer schon gewesen. Menschen aus aller Herren Länder haben hier seit mehr als einem Jahrhundert Arbeit gefunden - und sie sind heimisch geworden. Mitgebracht haben sie auch ihre Sprache, und so entstand schnell aufm Pütt (Zeche) und inne Kollonie (der dazugehörigen Siedlung) eine für alle verständliche Umgangssprache - schließlich musste man sich ja im Konsum (früher weit verbreitete Lebensmittelkette, aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen) verständlich machen können. Entstanden ist etwas, das sich jeder präzisen Beschreibung durch die Sprachwissenschaft entzieht. Eigentlich ist es kein Dialekt sondern eher eine Mischung, die manche unter dem Begriff Ruhrdeutsch zusammen ziehen. Die Einwanderer aus Ostpreußen, Polen und anderen Ländern trugen Begriffe und Aussprache genauso bei wie die Ureinwohner - in Dusiburg sind niederrheinische, in Dortmund münsterländische Einflüsse deutlich (die berühmte "ne/woll-Grenze") - die Sprache hört sich überall anders an und ist eben unbeschreiblich!


Inne Kollonie - ehemaliges Wohlfahrtsgebäude der Zechenkolonie Eving - DO-bildpool

Ein paar sprachliche Grundbegriffe und -fertigkeiten sollten Sie schon parat haben wenn Sie aus dem Rest der Republik oder gar Europas oder meinetwegen auch der Welt zu uns kommen. Keine Angst, Sie werden hier auch ohne Sprachkurs durchfinden, aber schöner ist es schon, wenn man typische Lautäußerungen der Einheimischen auch im Originalton versteht. So ist der Schrei auf der Tribüne "Samma, watt is los?" auf keinen Fall der Ruf nach dem DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, es handelt sich vielmehr um folgende Fragestellung: "Hallo, sagen Sie mal bitte, was geschieht denn da Seltsames und für mich völlig Abwegiges zum Nachteil meiner Mannschaft?" - etwa wenn die Fahne hochging obwohl nun jeder sehen konnte, dass das niemals abseits war.... "Hasse watt mitte Klüsen? Dann bring ich dich unnsa Omma sein Spekuliereisen" (meint: Haben Sie irgendwelche Probleme mit den Augen, damit Ihnen das nicht noch einmal passiert, kann ich Ihnen freundlicher Weise die Lesehilfe meiner geschätzten Frau Großmutter leihweise zur Verfügung stellen).


Auf Maloche, Essen, Zeche Zollverein, UNESCO Weltkulturerbe, Foto: Thomas Robbin, Wikipedia

Vergessen Sie die oftmals schlecht imitierte Sprache aus dem Kabarett. Typisch für den Pott sind grammatikalische Besonderheiten und eine Begriffsvielfalt, die ihresgleichen sucht. So müssen Sie nicht verwundert sein, wenn ihr Nebenmann im Stadion plötzlich wettert, "dat dat der Schiri in Schuld is" - im Revier hat man keine Schuld, hier ist man es "in Schuld". Verwechslungen der Fälle und der Artikel kommen auch dann und wann vor. Eines der schönsten Fußballzitate dokumentiert genau dies. Lothar Emmerich, die linke Klebe war es, der lautstark mit "Gib mich die Kirsche" den Ball forderte - jener Emmerich, der 1966 das Tor des Jahrhunderts schoss, das 2:1 (Endstand) gegen England - von der Torauslinie schlenzte Emma die Kirsche genial ins Netz.


Unvergessen: Emma, 115 Bundesligatore, genialer Ballkünstler

Ein Fall allerdings stirbt hier tatsächlich aus: Es ist der Genitiv, wenn es etwa heißt "Dem Schwatten anne Linie seine Fahne macht mich ganz fettich" - will sagen: "Der Schiedsrichterassistent hat eine Art und Weise die Abseitsregeln zu interpretieren - da werde ich ganz doll nervös". Genauso typisch ist das Zusammenziehen von Wörtern. Schreit etwa jemand angesichts eines zeitschindenen Einwurf-Prozederes "Ey, abba gez mamma wacka" so spielt weder die GEZ noch die eigene Frau Mutter irgend eine Rolle, in die Hochsprache übersetzt lautet das etwa "Hallo, jetzt machen Sie aber mal ein wenig schneller" - und Sie sehen: Das Zusammenziehen spart enorm Zeit. So spart man auch mit "wennett" (wenn es), "wollze" (wollen Sie oder willst du) und "kannse" (können Sie oder kannst du) oder mit dem gern gehörten Hömma.


Dortmund, Zeche Zollern II/IV, Maschinenhaus, Schloss der Arbeit, Foto: Arnoldinus, Wikipedia

Mir und mich - eigentlich nie ein Problem - aber auch hier gibt es das klassische Beispiel: Willi "Ente" Lippens, legendärer Rot-Weiß-Essen-Fummler aus den Siebzigern, wurde wegen seines manchmal watschelnden Laufs ("Ente") oftmals unterschätzt und durch seine verblüffenden Tricks und die für Freund und Gegner unerwarteten Aktionen zum Publikumsliebling. 1965, beim Spiel gegen Herne, sah er gelb: Der Schiri: "Herr Lippens, ich verwarne Ihnen" und Ente Lippens (mit niederländischer Staatsbürgerschaft) schoss scharf zurück: "Herr Schiedsrichter, ich danke Sie". Darauf hin sah er wegen Schiedsrichterbeleidigung den roten Karton. Dietmar Schott hat ihm mit Ich danke Sie! ein Denkmal gesetzt, Klartext-Verlag Essen, ISBN-10: 3898619788.


Publikumsliebling Willi "Ente" Lippens, Rot-Weiß-Essen

Typisch im Pott sind auch Verstärkungen -negativer und positiver Art. "Dat hammse getz abba nich gedacht, wonnich" könnte so eine typische Reaktion sein, wenn etwa die eigenen Jungs mal ein Tor machen. Frei übersetzt könnte der Satz etwa so lauten: "Da hatten Sie aber jetzt eine völlig andere Erwartenshaltung und haben nicht damit gerechnet, oder etwa doch nicht?" - womit wir eine mindestens zweifache Verneinung hätten und damit schon auf dem schlüpfrigen Feld der Aussagelogik angelangt sind. Ehrlich, einfach ist das nicht "auseinander zu klamüsern". Einfacher ist da schon das gemeine "woll" - "dat verstehse getz abba, woll?" - wie schon gesagt, in Dusburg würde man hier eher ne (kurzes e wie in Palme) anhängen.


Das Bier im Revier, untrennbar verbunden mit Kohle, Stahl und Fußball, Dortmunder U, Foto: Wikidedia

Der die das - wattn Hallas - ist doch nun wirklich wurscht, odda? Wüssen Sie dat imma? Seen se, tun se au nich immma, wonnich? Also: "Mein lieba Kokoschinski, da hat widda eina Bananen aufn Kahn geschmissen, und eine hat soone Tussi vonne Polente voll am Kopp gekricht. Abba der die das gemacht hat, den hammse nicht gekricht - hat dern Massel gehabt" - Alles klar? Polente meint Polizei, die uniformierte Staatsmacht und Massel (aus dem Jiddischen) heißt soviel wie Schwein gehabt, Gegenteil: Schlamassel bezeichnet eine große Scheiße. Tussi ist klar, ein weibliches Etwas, eher negativ gemeint, noch schlimmer wäre Schickse, ebenfalls aus dem jiddischen, leitet sich aus dem Hebräischen schik(s) ab: Abscheu - das sollte zunächst mal reichen - man sieht: Es geht hoch wissenschaftlich her, will man die Sprache im Pott so richtig auseinanderklamüsern!


Kommse mit anne Bude - typische Trinkhalle im Pott, Foto: Wikipedia, Hans-Jürgen Wiese

Und damit wären wir bei der Anrede: Ob unter Tage oder vor der Thomas-Birne - es blieb nicht viel Zeit für den Austausch von Höflichkeiten und andere Fisematenten (unnötiges Gehabe) - die Sprache war direkt und ungeschminkt und man duzte sich. "Würden Sie mir bitte mal den großen Vorschlaghammer herüber reichen" wäre einfach unpassen gewesen - "Ey, tu ma wacka den Mottek rübba" - kurz und knapp. Das mit dem du ist auch heute vielerorts noch so - etwa in der Kneipe oder, ganz sicher, "aum Platz". Fühlt man sich unsicher, ob das Du angebracht ist, tastet man sich gerne vor, etwa in dem mit dem Plural ein Versuchsballon gestartet wird, statt "Ey, wo kommse wech" wird dann die gesamte Gruppe angesprochen, etwa "Samma, wo kommt ihr denn alle wech?" und dann sollte man "Butta bei die Fische geben" - also ohne Umschweife zugeben, dass man von außerhalb kommt! Wer getz bockich is - also den Kontaktversuch negativ beantwortet - ist echt ein Miesepeter (stoffeliger Blödmann) oder gar eine Pissnelke (dito in weiblich) - er/sie könnte einen Freund fürs Leben verpassen. Denn spätestens nach dem Spiel, an der nächsten Bude (Trinkhalle, ruhrgebietstypische Versorgungseinrichtung mit Schalterverkauf für Bier, Chips und Cola - alles was man so für ein spontanes Leben braucht) oder inne Kneipe, wo man dann gemeinsam dat eine odda andere Pilzken zischen lässt wird es gemütlich! Wenn man dann noch klar Stellung zu den Bayern bezieht (aber bitte die richtige Stellung) steht der Krönung vom Tach nix mehr im Weech - bleibt mir nur noch der Wunsch: Proost!

Ach so, no watt zun Bier: Gab ja zur WM überall nur diese Ammi-Plörre - nich so in Doatmund, hier wurde auch im Stadion Bier aus der Stadt ausgeschenkt. Allet lassen wa uns ja nun nich vonne Fifa vorschreibn, wonnich?

So sind wa ehm hier im Pott, woll!

Wollze getz nich zu machen dat Fensta, wonnich?



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